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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1. Septemberheft
DOI Artikel:
Schuchhardt, Carl: Die Keramilk von Susa: eine Tierornament-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0007

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Die Keramik oon Susa

Sine Tiecomamcnt=Studie
oon

Cat?l Scbucbbai’dt

\7or guten 20 Jahren, als der Jugendstil mächtig empor-
* schoß, gab es in München einen angesehenen
Ornamentiker, der immer tieftraurig wurde, wenn jemand
vor seinen schwungvollen Linienkompositionen eine
Erinnerung an dies oder jenes pflanzliche oder tierische
Gebilde erkennen wollte: sie sollten doch an gar nichts
erinnern, diese Kompositionen; der Meister hatte sich
seit Jahren bemüht, sie von aller Materie loszulösen und
als reine Schöpfungen seiner Phantasie, als bloße
Linienspiele hinzustellen.

Die Anekdote lehrt zweierlei: daß es wirklich

Künstler gibt, die eine Wesenlosigkeit erstreben, daß sie
aber ihr Ziel nie ganz erreichen, weil auch ihre höchste
Phantasie immer an das geschaute Wesenhafte gebunden
bleibt, — hat man doch selbst Götter und Teufel nie
anders darzustellen vermocht als mit irdischen Zügen —
und daß die Masse des lieben Publikums in der Darstellung
immer nach dem sinnlich Greifbaren suchen wird.

Ähnlich wie den Schöpfungen dieses Künstlers ist
es der Tierornamenlik ergangen, die in verschiedenen
Perioden der Kunstgeschichte auftritt und von deren
richtiger Beurteilung grundlegende Fragen der Aesthetik
und öfter auch wichtige historische Probleme abhängen.

Wir verstehen unter Tierornamentik die Verwendung
von Tiergestalten oder auch nur Tierteilen in so enger
Verbindung mit geometrischen Ornamenten, daß man
zweifeln kann, ob der Ausgangspunkt im Tierischen oder
im Geometrischen liegt, d. h. ob ursprüngliche ganze
Tierbilder, etwa Kämpfe, Jagden zu Liniengebilden zu-
sammengeschrumpft sind oder ob umgekehrt Liniengebilde
einige ihrer Teile ins Tierische haben auswachsen lassen.

Die Antwort ist eigentlich immer zu Gunsten der
ersteren Auffassung gegeben worden. Die naturalistische
Tierdarstellung, sagte man, ist das älteste, was wir an
Kunst überhaupt kennen, und schon die eiszeitlichen
Höhlenbewohner haben begonnen, die Tierbilder abzu-
kürzen und in einer Art von Hieroglyphen zu verwenden
(Hoernes Urgesch. d. bild. Kunst, 1915, S. 11). Die
Ethnologen sahen, daß gewisse Urvölker unter der Zick-
zacklinie eine Schlange verstanden, unter der Raute den
Mereschu-Fisch, eine Art Scholle, und unter dem Dreieck
das Uluri, das einzige Bekleidungsstück der Weiber zur
Bedeckung der Scham (Karl v. d. Steinen); sie schlossen,
daß aus solchen Einzelvorstellungen die ganzen Muster
zusammengesetzt worden seien.

So konnte die Meinung entstehen, daß die Band-
geschlinge der Völkerwanderungszeit mit Tierköpfen und
Schwänzen verstilisierte Schlangen und Drachen seien,
die Voluten der Skythen mit Augen und Schnäbeln eben-
falls Reste ganzer Tiere, die Spiralen der Mykenier
geometrische Erstarrungen des Oktopus, die Kammuster
in Troja alte Vierfüßler und die einfachen Striche und

Dreiecke in Susa Überbleibsel von Vogel- und Menschen-
gestalten.

Ich will von all diesen Dingen nur die zuletzt bekannt
gewordene Susa-Keramik unter Betrachtung stellen, weil
man bei ihr mit besonderer Zuversicht und bisher ganz
einstimmig die Entstehung des Geometrischen aus dem
Naturalistischen behauptet hat und doch sich gerade hier
das Umgekehrte so klar wie kaum irgendwo sonst er-
weisen läßt.

Die Franzosen, die sich schon seit 20 Jahren des
Alleinrechts zu archäologischen Ausgrabungen in Persien
erfreuen, haben 1901 auf dem alten Burghügel von Susa
sondiert und ihn 1907/8 in umfassender Weise vorge-
nommen. Die oberen Schichten der historischen Zeit
enthielten nicht viel Bemerkenswertes, aber in der Tiefe
ergab sich in der Burg eine Siedelung und außerhalb
eine Nekropole aus neolithischer Zeit mit einer köstlichen
feinbemalten Keramik. Da unter dieser Schicht sich
keinerlei menschliche Kulturreste mehr finden, sondern
nur natürliches Erdreich vorhanden ist, wollte J. de Morgan,
der Leiter der Grabungen, die Keramik zum Ältesten
rechnen, was es in dieser Gegend überhaupt gäbe, denn
er nahm an, daß Susa zu den erstbesiedelten Plätzen
gehören müsse. Er datierte sie danach um 4000 v. Chr.
Andere haben diesen Ansatz bereits gemildert und auf
etwa 2800 v. Chr. heruntergeschoben. Vielleicht ist auch
das noch zu hoch gerechnet.

Etwa 100 km westlich von Susa haben die Franzosen
in Mussian ganz ähnliche Gefäße gefunden, von denen
einige Proben hier mit herangezogen werden sollen.

In der Susa-Keramik herrschen durchweg zwei Formen,
ein zierlicher, fast steilwandiger Becher und eine flache
Schüssel, beide ohne Henkel oder Ösen. Daneben
kommt spärlich ein kleines Töpfchen mit Bauchknick und
Schnurösen vor. Die Malerei ist auf hellem Überzüge
in Schwarzbraun angebracht, bei den Bechern außen,
bei den Schüsseln innen. Sie bewegt sich ganz in
geometrischen Mustern, die die Gefäße umschnüren oder
überspinnen, ln diesem allgemeinen Ziersystem treten
nun hier und da tierische und wie man meint, auch
pflanzliche Elemente auf. ln dem breiten Bande des
oberen Becherrandes finden sich statt der einfachen senk-
rechten Striche langhalsige Vögel, die ebenso dicht gereiht
sind, wie die Striche waren (Abb. 2). Auf den Schüsseln
steht zuweilen an der Stelle eines Kammusters ein
stilisierter, wie aus einer Holzbank aufgeputzter Steinbock
(Abb. 3). So glaubt man denn auch in einem stehenden
Dreieck mit hervorstehenden Spitzen an der oberen Fläche
einen Köcher mit Pfeilen sehen zu dürfen und. vieles
dergleichen mehr. In all diesen Fällen aber soll das
Naturwesen oder der wirkliche Gegenstand zuerst treu
wiedergegeben und erst im Laufe der Zeit zur geo-

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